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Afrika-Cup 2024: Warum Nigeria so viele Top-Stürmer hat

Vor dem Halbfinale gegen Südafrika

Warum Nigeria so viele Top-Stürmer hat - und trotzdem wenig Tore schießt

Höchste Qualität im Angriff: Ademola Lookman, Victor Osimhen, Victor Boniface (v. li.).

Höchste Qualität im Angriff: Ademola Lookman, Victor Osimhen, Victor Boniface (v. li.). Getty Images (3)

Aus Abidjan berichtet Michael Bächle

Wenn er in die Nähe des Balls kommt, dann geht ein ehrfürchtiger Ruck durchs Publikum. Selbst die neutralen Fans, die meisten gekleidet in den orangenen Elfenbeinküste-Trikots, rufen dann im Chor: "Osimhen, Osimhen!" Nigerias Ausnahmestürmer ist der vielleicht letzte verbliebene große Star dieses Afrika-Cups. Dabei fällt er anders auf als gedacht.

Erst ein Tor hat Afrikas aktueller Fußballer des Jahres bei diesem Turnier erzielt, zuletzt vier Spiele in Folge nicht getroffen. In der Serie A, wo Osimhen die SSC Neapel letzte Saison zur Meisterschaft schoss, ist ihm das seit Herbst 2021 nicht mehr passiert. Aber eines kann man ihm nicht absprechen: den Einsatz. Ein wenig spitzfindig könnte man behaupten: Er muss sich ja auch langfristig gegen die Konkurrenz im eigenen Team behaupten.

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Nur sehr wenige Nationaltrainer weltweit verfügen aktuell über eine solche Flut an herausragenden Angreifern wie Nigerias Coach José Peseiro. Das wird in erster Linie deutlich, wenn man auf die Namen schaut, die erst gar nicht im Kader stehen: Leverkusens Volltreffer Victor Boniface und der ehemalige Bundesliga-Stümer Taiwo Awoniyi schieden verletzt aus. So manche große Fußballnation - eventuell auch solche, die ein großes Heimturnier vor der Brust haben - wäre wahrscheinlich froh, auch nur einen der drei im Kader zu haben.

Zumal der hochveranlagte Gift Orban, der für KAA Gent in der Europa Conference League auf zehn Tore in elf Einsätzen kommt und zuletzt zu Olympique Lyon wechselte, noch gar nicht berufen wurde. Überangebot, kein Vorbeikommen an anderen Klassestürmern wie Bergamos Ademola Lookman, Nizzas Terem Moffi oder Milans Samu Chukwueze.

Kein Plan - aber er funktioniert

Aber wie kommt es, dass ein Land auf einer Position so viele herausragende Angreifer hervorbringt? "Dahinter steckt eigentlich überhaupt keine Strategie - wie bei den meisten guten Dingen, die in Nigeria passieren", sagt Oluwashina Okeleji, der als einer der führenden nigerianischen Sportjournalisten unter anderem für die BBC berichtet. Ein gezielter Plan des Verbands, Mittelstürmer heranzuzüchten? "Nein, es ist einfach passiert."

Man könnte es sogar umdrehen: Nigeria hat gerade auf dieser Position ein Überangebot, weil es eben keinen Plan hat - auf keiner Position. "Stürmer zu scouten, ist für Auswahltrainer oder größere Vereine viel einfacher", sagt Okeleji. Denn die physischen Attribute, wie sie gerade nigerianische Angreifer zuhauf mitbringen, sind schlichtweg schwer zu übersehen. Die Spieler werden dadurch eher von europäischen Klubs oder Akademien geholt, erhalten dort dann die entsprechende Begleitung, um explodieren zu können. Spieler anderer Positionsgruppen fallen hingegen schnell durchs Raster, weil die Talentförderung im Land hinkt.

Ademola Lookman, Victor Osimhen

Ein Duo, das immer gefährlich werden kann: Ademola Lookman (li.) und Victor Osimhen. AFP via Getty Images

Da überrascht es umso mehr, dass es bei diesem Afrika-Cup eben nicht die Angreifer sind, die Nigeria bis ins Halbfinale gebracht haben. Stattdessen stellt Peseiros Team mit erst einem Gegentor die mit Abstand beste Defensive des Turniers. Alleine dreimal gewann Nigeria 1:0. Biederer Pragmatismus statt krachendes Offensivfeuerwerk.

ABIDJAN, COTE D IVOIRE - JANUARY 18; Nigeria celebrate during the TotalEnergies Caf Africa Cup of Nations (Afcon 2023) match between Cote D Ivoire and Nigeria at Stade D Ebimpe on January 18, 2024 in Abidjan, Cote d Ivoire. Photo by Daga Spotz Copyright: xx

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Für seine unattraktive Spielweise musste Peseiro in Nigeria viel Kritik einstecken. Aber er steht dazu. "Bei uns geht es um Abischerung", sagt er in der Elfenbeinküste. "Wir haben unseren Stil gefunden, den kann man nicht ändern." Turnierfußball eben. "Der Schlüssel im Fußball", so Peseiro weiter, "ist die Balance".

Nach dem enttäuschenden 1:1 gegen Äquatorialguinea zum Auftakt stellte der Portugiese seine Formation auf 3-4-3 um, wobei beide Außenverteidiger bei gegnerischem Ballbesitz die Dreierkette zu einer für einen Mitfavoriten überraschend tiefstehenden Fünferkette ergänzen. "Dieses System hat das bestmögliche Nigeria hervorgebracht", findet Okeleji.

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Durch die gute defensive Organisation ist es extrem schwer, die Abwehr der "Super Eagles" zum Absturz zu bringen, - und vorne, das weiß Peseiro genau, ist die Qualität mit Osimhen oder dem bei diesem Turnier herausragenden Lookman dann eben so hoch, dass es zumindest für ein Tor reicht. "Bei diesem Turnier ist es schwierig, Tore zu erzielen", sagt Innenverteidiger Calvin Bassey. "Wir haben getan, was wir tun mussten, um so weit zu kommen."

Zu dieser Philosophie passt, dass Osimhen bei diesem Afrika-Cup in erster Linie ein Faktor gegen den Ball ist. Er reibt sich im Pressing auf, gibt keinen Ball verloren, verrichtet viel Laufarbeit, um die Löcher im Mittelfeld zu stopfen, die sich durch die tiefe Fünferkette auftun. Im Viertelfinale gegen Angola musste er gar wegen Krämpfen behandelt werden. "Wir sind alle Defensivspieler, das fängt ganz vorne an", analysiert Bassey. Und sein Abwehr-Kollege Semi Ajayi ergänzt: "Jeder macht hier seine Schicht." Mit dem großen Star als Vorarbeiter.

Dieser Artikel erschien in Auszügen erstmals in der Montagsausgabe des kicker am 5. Februar.

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