Europa League

Niklas Schmidt im Interview: "Nicht typisch deutscher Spielertyp"

Toulouse-Profi über Klopp, Werder und anhaltende Depressionen

Niklas Schmidt im Interview: "Bin nicht der typische deutsche Spielertyp"

Stand in allen vier Europa-League-Spielen für Toulouse auf dem Platz: Niklas Schmidt.

Stand in allen vier Europa-League-Spielen für Toulouse auf dem Platz: Niklas Schmidt. IMAGO/Shutterstock

Herr Schmidt, gucken Sie eigentlich die Pressekonferenzen des FC Toulouse?

Normalerweise nicht …

… aber von der PK nach dem jüngsten Sieg in der Europa League gegen den FC Liverpool werden Sie sicher gehört haben.

Ich habe bei Youtube einen Ausschnitt gesehen, auf den Jürgen Klopp aber wahrscheinlich nicht so gut zu sprechen sein wird.

Analyse

Er war nicht nur aufgrund der 2:3-Niederlage ziemlich angefressen, sondern auch wegen der Fangesänge, die von außen in den Raum drangen: "Wer hatte die Idee, die Pressekonferenz hier zu veranstalten? Wow", sagte Klopp.

Für Außenstehende war das bestimmt ganz witzig. (grinst)

Wie haben Sie Klopp rund um die beiden Spiele erlebt? Das Hinspiel an der Anfield Road endete aus Ihrer Sicht mit 1:5.

Außer ein "Hallo" haben wir nicht groß miteinander gesprochen, aber so direkt neben ihm habe ich mich schon sehr klein gefühlt. Man sieht ihn ja sonst nur im Fernsehen - aber er wirkt noch mal viel größer. Man spürt einfach seine extreme Aura. Es gibt ja auch viele Spieler, die über ihn sagen, dass er ein unglaublich guter Trainer ist, obwohl sie unter ihm nicht mal so viel gespielt haben - wenn man das hinkriegt, hat man echt wenig falsch gemacht.

Mit dem FC Toulouse treffen Sie am Donnerstagabend auf Royale Union Saint-Gilloise. Was bedeuten Ihnen diese internationalen Spiele?

Wenn du den Tag über auf den Anpfiff wartest und überall "Europa League" steht, ist das schon ein anderes Gefühl, das ich so noch nicht kannte. Rund um die beiden Spiele gegen Liverpool war ein enormer Hype in der Stadt, in der Mannschaft und im Staff. Gerade beim 1:5 habe ich gemerkt, was für ein krasses Niveau das ist: Manchmal sucht man sich ja einen Gegenspieler aus, den man beispielsweise mehr pressen will - leider gab es da nicht so viele. (lacht) Unsere Ausgangssituation in der Gruppe ist zurzeit trotzdem gut.

Als Tabellenzweiter mit sieben Punkten - zwei hinter Liverpool, drei vor Union Saint-Gilloise.

Wenn wir jetzt etwas holen, können wir den Sack fürs Weiterkommen schon zumachen. So gehen wir es an. Das hat uns sicher erst einmal keiner zugetraut - vor allem, dass wir das Heimspiel gegen Liverpool gewonnen haben.

Ich musste einen Kompromiss eingehen.

Schmidt über den schwierigen Abgang aus Bremen

War die Europa League auch ein Grund für Ihren Wechsel aus Bremen?

Ich bin eigentlich nicht davon ausgegangen, den Verein unbedingt verlassen zu wollen - deshalb hat der Wechsel ja auch länger auf sich warten lassen. Mir liegt immer noch sehr viel an Werder, ich gucke alle Spiele am Fernseher, auch die Testspiele bei Youtube: zuletzt erst gegen Hansa Rostock (1:2).

Wie bitte?

Meine Freundin fragt mich auch immer: Muss das wirklich sein? Am Ende schaut sie aber meistens mit einem Auge mit. Ich habe ja auch mit mehreren Spielern noch viel Kontakt.

Wieso also der Abgang?

Der ausschlaggebende Punkt war ein Gespräch mit Clemens (Fritz, Leiter Profifußball bei Werder, d. Red.) - das war ein, zwei Wochen vor dem Wechsel. Er hat mir erklärt, dass der Verein die Ablöse dringend benötigen würde und dass ich eher noch geringere Chancen auf Spielzeit hätte als vergangene Saison. Ich musste einen Kompromiss eingehen: Bleibe ich in Bremen, wo ich mich heimisch fühle - oder versuche ich etwas ganz Neues, mit mehr Aussicht auf Spielzeit? Und Toulouse hat sich extrem um mich bemüht, der Sportdirektor ist extra nach Bremen gekommen.

Der Transfer ging dann rund zwei Wochen nach einem Testspiel zwischen Werder und Toulouse (2:2) im Trainingslager in Österreich über die Bühne, als das Interesse bereits bekannt war. Wie war dieser Tag für Sie?

Es war ein komisches Gefühl. Man musste vor, während und nach dem Spiel schon etwas aufpassen, dass man keine Themen dazu anbietet. Es gab auch eine Absprache, dass es auf und neben dem Platz nicht so viel Kontakt geben sollte, sodass es vielleicht weitere - ich sage mal - "Schlagzeilen" dazu gegeben hätte.

Schmidt in Toulouse: "Alles geht voll auf"

Was wussten Sie vorher von Toulouse?

Ursprünglich hatte ich gar keinen Anhaltspunkt zu dem Klub und musste erst einmal gucken, wo Toulouse liegt. Aber der Verein war ja schon im Sommer zuvor auf mich zugekommen, im Winter wurde es noch mal konkreter - und Richtung Ende der Saison habe ich auch das erste Mal mit dem Trainer gesprochen.

Toulouse agiert beim Scouting bekanntlich stark datengetrieben.

Ich weiß nur ungefähr, welche Daten das bei mir waren, aber es hieß, ich würde perfekt in das gesuchte Profil passen. Ich bin jetzt ja auch nicht der typische deutsche Spielertyp, der 90 Minuten um den ganzen Platz rennt. Ich würde mich eher als technisch versierter Fußballer sehen, der viel den Ball hat - und das passt hier perfekt. Wir haben einen spanischen Trainer, der mir viel Input gibt und immer neue Dinge lehrt. Dadurch kann ich noch mehr Einfluss aufs Spiel nehmen.

EL-Spiele des FC Toulouse

Klingt also eher nach: typisch spanischer Spielertyp.

Manchmal sagt er das tatsächlich. Im Training meint er wiederum, dass ich doch deutsch bin: Weil ich immer gewinnen will und versuche, eine Mentalität in die Einheiten reinzubringen, dass jedes Trainingsspiel wichtig ist. Ich glaube, das hilft uns als Mannschaft ganz gut - auch wenn das bei den Jungs nicht jeder immer so sieht. (lacht)

Sie spielen in Toulouse in einer Mannschaft mit vielen ausländischen Profis zusammen.

Wir haben eine spanische Gruppe, eine französische Gruppe, eine Gruppe mit Norwegern, Dänen, Holländern und mir als Deutscher. Jeder spricht hier englisch, ich lerne auf dem Gelände jeden Tag ein neues Wort. Als Mensch hat mir dieser Wechsel enorm geholfen. Und sportlich: Ich kann jedes Spiel über 90 Minuten absolvieren, die Leistungen sind bislang gut. Bis jetzt geht alles voll auf.

Zweimal wurden Sie von "L'Equipe" schon in die Elf des Tages gewählt.

Ja, da bekomme ich dann immer viele Nachrichten. (grinst)

Mehr Risiko, mehr Fehler: "Die Ligue 1 ist jung und wild"

Inwiefern ist die Ligue 1 anders als die Bundesliga?

Man könnte sagen: Sie ist jung und wild. Es gibt viele Eins-gegen-eins-Duelle, viele Spieler agieren isoliert, es wird mehr ins Risiko gegangen. Dadurch passieren vielleicht mehr Fehler im Vergleich zur Bundesliga. Aber das ist hier so gewollt und ist generell die Mentalität, auf die ich eben schon hinaus wollte.

Das heißt?

In Deutschland ist es manchmal sehr streng. Wenn ein junger Spieler zwei, drei Fehler hintereinander macht, muss er sich direkt Kritik von den Älteren gefallen lassen - was in Maßen gut ist. Aber hier wirst du ermutigt, weiterzumachen: Mach, mach, mach. Bis du vorbeikommst. Wenn du es zehnmal versuchst, und sechsmal vorbeikommst - top! Das ist in Frankreich einfach anders.

… und auch ein Grund, warum viele Bundesligisten Spieler aus der Ligue 1 verpflichten? Aus Toulouse sind in den vergangenen Jahren etwa Fares Chaibi, Nathan Ngoumou, Amine Adli und Kouadio Koné diesen Weg gegangen.

Wir sind auch jetzt wieder die jüngste Mannschaft der Liga und ich mit 25 Jahren einer der ältesten Spieler im Kader. (lacht) Es wird viel auf Talente gesetzt, und die bekommen jede Woche aufs Neue ihre Chance - egal, ob sie Fehler machen. Dadurch müssen sie keine Angst haben, direkt wieder rausgenommen zu werden. In der Bundesliga ist da der Druck von der Öffentlichkeit vielleicht ein bisschen größer auf die Trainer. Daher ist es für mich auch nicht verwunderlich, nachdem ich ein paar Monate hier bin, dass viele Spieler ins Ausland wechseln. Sie kriegen die Plattform - und nutzen sie.

Ich habe mich schon bei meinem Athletiktrainer aus Bremen entschuldigt, dass das Training doch nicht so anstrengend war wie hier.

Niklas Schmidt

Gleichzeitig rangiert Ihr Klub, aktueller französischer Pokalsieger, nur auf Tabellenplatz 15, knapp vor der Abstiegszone.

Der Verein will schon besser dastehen als jetzt. Dass wir eine echt junge Mannschaft haben, soll keine Ausrede sein, aber wichtig ist, dass wir uns entwickeln. Und da zählen auch negative Phasen dazu, da lernst du am meisten. Fußballerisch haben wir jede Menge Potenzial in der Mannschaft - aber wir müssen es auch ausschöpfen. Und dann werden die, die uns im Sommer verlassen haben, auch nicht die letzten sein.

Schmidt so fit wie nie: "Baguette gibt es nur ab und zu"

Wer ist der nächste Kandidat für die Bundesliga?

Es gäbe da schon ein paar, denen ich das zutraue. Dabei würde ich es aber belassen.

Auch die Trainingseinheiten sind in Toulouse länger als in Deutschland.

Das ist schon extrem. Ich habe mich auch schon bei meinem Athletiktrainer aus Bremen entschuldigt, dass das Training doch nicht so anstrengend war wie hier.

In der Vergangenheit war Übergewicht auch mal ein Thema bei Ihnen. Sind Sie so fit wie nie?

Das kann man so sagen. Weil ich spiele: dreimal die Woche, annähernd je 90 Minuten. Das hatte ich die letzten Jahre nicht so.

In Toulouse ist von einem Körperfettanteil von 9,4 Prozent die Rede.

(lacht) Das wird jede Woche einmal gemessen, und da ist unsere Ernährungsberaterin sehr hinterher: was wir essen, wann wir essen. Es ist gut zu sehen, dass das etwas bringt. Nach den Spielen gönne ich mir aber auch schon mal was.

Baguette?

Nur ab und zu. Aber es gibt hier sehr viele gute Restaurants.

Wie hat sich der Wechsel ins Ausland auch auf Ihre mentale Gesundheit ausgewirkt? Im Bremer Winter-Trainingslager hatten Sie Anfang des Jahres psychische Probleme offenbart.

Was das angeht, war es positiv, einfach mal etwas anderes zu sehen. Ich würde nicht sagen, dass es wie Urlaub ist, aber es ist nun mal viel Neues dabei. Simple Sachen, mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Deswegen komme ich da nicht so sehr ins Nachdenken wie in Deutschland.

Sind Sie noch in psychologischer Behandlung?

Ja, hier vor Ort und auf Englisch. Mir war das Face-to-face einfach wichtig. Wir haben eine Psychologin vom Verein, die mir mit vielen Ratschlägen hilft und mit der ich mich wöchentlich treffe.

Fußball ist meine Therapie.

Niklas Schmidt

Wie haben sich Ihre Depressionen entwickelt?

Mittlerweile kann ich sie ganz gut einsortieren. Es gibt immer noch Tage, wo es sehr schlecht geht. Es gibt aber auch Tage, wo es sehr gut geht. Wichtig für mich ist, dass diese Balance bestehen bleibt.

Welche Rolle spielt dabei für Sie der Fußball?

Fußball ist meine Therapie. Auf dem Platz fühle ich mich frei - da kann ich alles vergessen und muss nicht so viel überlegen wie vielleicht sonst. Wenn ich mit der Mannschaft unterwegs bin, bin ich krass abgelenkt. Aber natürlich habe ich auch meine Phasen, wenn ich zu Hause bin und struggle.

Wie äußert sich das?

Dass, wenn man morgens aufsteht, eine graue Wolke kommt. Oder wenn man nach Hause fährt, und auf nichts mehr Lust hat. Dass man sich dann schlafen legt - bis sechs Uhr und dann ist der Tag auch fast wieder vorbei, ohne dass man das mitkriegt. Wenn es mir schlecht geht, gehe ich mit meiner Freundin raus: in die Stadt oder was essen. Ich weiß, dass mir geholfen wird und dass ich da dranbleiben muss.

Sind Ihre neuen Mitspieler darüber im Bilde?

Die, mit denen ich enger bin, wissen es. Auch das Trainerteam ist in Kenntnis, es geht sehr cool damit um. Das Wichtigste ist, mit den Leuten zu sprechen, mit denen man tagtäglich zu tun hat. Ich habe ja auch keine Antwort drauf, ob das Thema in einem Monat weg ist, in drei Jahren oder gar nicht. Das gehört zu meinem Leben dazu. Ich versuche gegenzusteuern, indem ich mich selbst klar damit auseinandersetze und einfach offen damit umgehe.

Wo finde ich Hilfe, wenn ich betroffen bin? Auf der Website der Deutschen Depressionshilfe gibt es verschiedene Anlaufstellen für Betroffene.

Interview: Tim Lüddecke