Int. Fußball

Serie A: Auslaufende Steuererleichterungen sorgen die Klubs

Kritiker fürchten um Konkurrenzfähigkeit

Von "importierten Füßen" und der Heimkehr kluger Geister: Quo vadis, Serie A?

Steuert die Serie A auf die Konkurrenz-Unfähigkeit zu?

Steuert die Serie A auf die Konkurrenz-Unfähigkeit zu? IMAGO/Sportimage

Glaubt man den Kritikern, dann schließt der Calcio bald seine Tore. Aus, vorbei. Von einem "Eigentor und irreparablen Schaden" sprach Inter-Manager Beppe Marotta, der zurzeit effizienteste Sportchef der Serie A. Lazio-Eigner Claudio Lotito betitelte es als "pure Demagogie. Jetzt werden wir alle Konkurrenz-Fähigkeit verlieren - nicht bloß im Fußball, im gesamten Sport". Eine charmante Aussage, schließlich sitzt Politiker Lotito selbst in einer der Regierungsparteien.

Die Heimkehr der klugen Geister

Doch kurz zurück zur Ursache der Apokalypse. Nach mehrwöchigen und primär populistischen Diskussionen votierte der Ministerrat, das so genannte "Decreto Crescita", Beschluss zum Wachstum, zum 1. Januar 2024 nicht zu verlängern. Der Beschluss zielte im Ursprung nicht auf das Fußball-Business, die Regierung Conte hatte ihn im April 2019 vielmehr zum Anlocken emigrierter oder ausländischer Spitzenkräfte installiert. "Rientro dei cervelli" lautete das Motto damals, Heimkehr der klugen Geister. Wer mindestens zwei Jahre lang im Ausland gelebt hatte und sich für mindestens zwei Jahre für den Wohnsitz Italien entschied, erhielt eine Steuererleichterung von 45 auf 25 Prozent.

Während die Resultate in Bildung und Wirtschaft überschaubar verliefen, entdeckte der Calcio freilich schnell das Potenzial. Weniger Steuerbelastung ermöglichte den Klubs bei Transfer-Verhandlungen die Offerte von höheren Netto-Löhnen. Als jüngstes Beispiel mag der vortrefflich eingeschlagene Marcus Thuram gelten. Das Bruttogehalt des Ex-Gladbachers kostet das klamme Inter Mailand 7,9 statt knapp elf Millionen Euro.

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Debatte zwischen den Extremen

Die Klubs hatten zuletzt gefordert, den Übergang wenigstens bis zum Ende des Januar-Transfermarkts aufzuschieben, um noch eilig neue Verträge unter dem alten Status quo abzuschließen. Die Regierung lehnte den Antrag ab und Napoli-Patron Aurelio de Laurentiis war erleichtert, mit Victor Osimhen noch im Dezember bis 2026 verlängert zu haben, denn die Maßnahme wirkt sich nicht auf laufende Kontrakte aus.

Über die Zukunft spalten sich die Lager in Italien wie üblich in populistische Extreme. Die Klubs klagen, der Aufschwung des Calcio sei passé, denn gegen die Konkurrenz könne sich niemand Top-Namen à la Mourinho, Lautaro Martinez oder Kvaratskhelia leisten.

"Importierte Füße" und stiefmütterliche Nachwuchsarbeit

Es gab allerdings auch reichlich Befürworter, die vor allem die Steuerbegünstigungen für Misswirtschaft in den Vereinen und den hohen Ausländeranteil in der Serie A verantwortlich machten. "Endlich werden alle gleich behandelt, das ist eine enorme Chance für italienische Jugendspieler und die Zukunft unserer Nationalelf", befand Umberto Calcagno, Präsident der Spielergewerkschaft AIC. In der Tat erhöhte sich der Ausländeranteil im Calcio seit 2019 von 55 auf 61 Prozent.

Viele Argumente der Vereins-Funktionäre erscheinen zumindest fragwürdig. "Diese Maßnahme wird dem Budget der Jugendarbeit deutlich schaden", prophezeite Marotta, obschon es bizarr klingt, den ohnehin bereits vielerorts stiefmütterlich finanzierten Nachwuchs weiter zu beschneiden, aus dem demnächst Talente wachsen könnten. Die finanziell angeschlagene Alte Dame, Juventus, machte es notgedrungen vor, indem sie erfolgreich Eigengewächse integrierte.

Italienische Talente würden von ausländischen Stars lernen und profitieren, hieß es außerdem. Doch die Zahl besagter Top-Spieler hält sich übersichtlich. 126 Nicht-Italiener bilanzieren weniger als 20 Minuten Einsatz-Zeit pro Partie - das klingt kaum nach qualitativen Lehrstunden. "Statt wie geplant kluger Köpfe, haben wie eher Füße importiert", sagte Sportminister Andrea Abodi lakonisch.

21 Millionen Euro zwischen Renaissance und Endzeitstimmung

Die Auswirkungen werden sich künftig genauer durchleuchten lassen, sie werden allerdings schwerlich zu einer existenziellen Bedrohung wuchern, wie manch Manager in Endzeitstimmung ausrief. Im letzten Sommer bejubelten dieselben Personen noch eine Renaissance des Calcio und da erscheint die Frage legitim, ob ein etwaiger Aufschwung tatsächlich durch eine Summe überschaubarer Millionen komplett ausgelöscht werden wird.

Die gesamte Serie A sparte bei Transfers im vergangenen Sommer 21 Millionen Euro Steuerzahlungen ein - unter anderem die beiden Mailänder Vereine jeweils rund sechs Millionen, Meister Napoli 1,2 Millionen. Bevorstehende Einbußen in diesen Dimensionen werden schwerlich zur proklamierten Konkurrenz-Unfähigkeit führen. Zum Jüngsten Gericht des Calcio schon gar nicht.

Oliver Birkner

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