Int. Fußball

"Schämen Sie sich": Haben die Niederlande ein Fan-Problem?

KNVB verschärfte bereits vor gut einem halben Jahr die Maßnahmen

"Schämen Sie sich": Haben die Niederlande ein Fan-Problem?

Ajax-Anhänger warfen im Klassieker Leuchtraketen auf den Platz. Die Spieler gingen daraufhin in die Katakomben.

Ajax-Anhänger warfen im Klassieker Leuchtraketen auf den Platz. Die Spieler gingen daraufhin in die Katakomben. IMAGO/Box to Box Pictures

"Was für ein Tiefpunkt. Was für eine Schande", hatte die niederländische Justizministerin Dilan Yesilgöz-Zegerius im April noch am Abend nach dem Klassieker zwischen Feyenoord Rotterdam und Ajax Amsterdam bei "X" geschrieben. Im damaligen Pokalhalbfinale wurde der ehemalige Ajax-Spieler Davy Klaassen von einem Feuerzeug am Hinterkopf getroffen und erlitt eine Platzwunde.

Nach einer halbstündigen Unterbrechung setzten die Teams das Spiel zwar fort, doch über das Sportliche wurde nach Abpfiff nur noch wenig berichtet. "Wir alle haben einen skandalösen Vorfall erlebt, bei dem ein Spieler auf dem Spielfeld nicht sicher war. Dieser Vorfall ist leider kein Einzelfall", begann der niederländische Verband eine Pressemitteilung am 6. April.

Spielabbruch: Bürgermeister entscheidet in letzter Instanz

Anschließend stellte der KNVB aus diesem Grund seine verschärften Maßnahmen vor: So muss der Schiedsrichter eine Partie abbrechen, wenn ein Spieler oder Schiedsrichter von einem Gegenstand getroffen oder von einem Fan angegriffen wird. Des Weiteren ist der Referee gezwungen, ein Spiel zu unterbrechen, wenn ein Zuschauer das Feld betritt oder ein Gegenstand auf den Platz geworfen wird. Sollte sich die "Tat" nach der Unterbrechung wiederholen, muss der Unparteiische die Partie abbrechen.

Allerdings entscheidet in letzter Instanz der Bürgermeister der Stadt. "Der Bürgermeister kümmert sich um die öffentliche Ordnung in seiner Gemeinde. Wenn dieser sagt, dass aus Sicherheitsgründen durchgespielt werden muss, dann ist dies der Fall", so KNVB-Sprecher Jaap Paulsen im Interview mit "AD".

Durch die neuen Regeln erhöhten sich im Saisonendspurt der abgelaufenen Spielzeit die Unterbrechungen. Alleine am zweiten Mai-Wochenende wurden sieben Spiele der Eredivisie und der Keuken Kampioen Divisie (2. Liga) unterbrochen - unter anderem die Partie zwischen Utrecht und RKC Waalwijk. Die Begegnung stand in der Nachspielzeit sogar kurz vor dem Abbruch, weil sowohl nach dem 1:0 als auch dem 2:0 die FCU-Fans beim Jubeln Becher aufs Spielfeld warfen. In Absprache mit Schiedsrichter Ingmar Oostrom ruhte der Ball in den verbleibenden Minuten bis zum regulären Schlusspfiff bei Waalwijk-Torwart Etienne Vaessen.

Nicht jedes Bier ist gefährlich.

Matthijs Keuning

Die Vorkommnisse in Utrecht sorgten für Kritik an den Maßnahmen. "Nicht jedes Bier ist gefährlich", erläuterte der Vorsitzende der niederländischen Supportervereinigung, Matthijs Keuning, bei "Nos" und führte aus: "Wenn aus Begeisterung ein Bier auf dem Feld landet, frage mich wirklich, ob eine Unterbrechung der richtige Weg ist."

Ungeachtet dessen haben die Regeln weiterhin Bestand. Lediglich eine kleine Anpassung nahm der Verband mit Beginn der neuen Spielzeit vor. "Es ist nun möglich, Fußball zu spielen, wenn der oder die Täter (Becherwerfer, Anm. d. Red.) gefunden und aus dem Stadion entfernt wurden. Und das darf mehr als zweimal pro Spiel sein", erklärte Paulsen.

Wegen drei Unterbrechungen: Zweitligaduell endet erst nach gut drei Stunden

Durch die Lockerung konnte unter anderem das Zweitligaduell zwischen Helmond Sport und Top Oss am 15. September regulär zu Ende gebracht werden - allerdings pfiff Schiedsrichter Laurens Gerrets erst gut drei Stunden nach dem Anpfiff vor fast leeren Rängen ab: Denn nach dem Last-Minute-Ausgleich von Oss' Delano Ladan führten erneute Becherwürfe (zweimal bei Torjubeln) zur dritten Unterbrechung. Während die Spieler daraufhin in die Katakomben gingen, verließ der Großteil der Zuschauer das GS Staalwerken Stadion.

Als Helmond signalisierte, dass der letzte Täter gefasst worden war, kamen die Akteure für die dreiminütige Nachspielzeit zurück aufs Feld - zu diesem Zeitpunkt saßen die Gästeanhänger aus Oss schon in den Bussen nach Hause. "Ich möchte klarstellen, dass ich das Werfen von Bechern missbillige, aber diese Strafe ist unverhältnismäßig. Völlig unverhältnismäßig zu dem, was passiert ist", wird Helmond-Torhüter Wouter van der Steen von "De Stentor" zitiert.

Helmond Sport - Top Oss

Die dreiminütige Nachspielzeit in Helmond wurde fast ohne Zuschauer ausgetragen. IMAGO/Pro Shots

Obwohl auch am 24. September im Klassieker - dem ersten nach der Wurfattacke auf Klaassen - ein Fan im Anschluss des 2:0 für Feyenoord aufgrund eines Becherwurfs aus dem Stadion entfernt worden war, war er kaum Thema. Vielmehr sorgten der Spielabbruch wegen wiederholten Werfens von Leuchtfackeln aufs Feld und die anschließenden Tumulte - Fans warfen vor dem Stadion beispielsweise mit Pflastersteinen - für Schlagzeilen.

Nicht überraschend meldeten sich aus diesem Grund erneut Politiker zu Wort. Unter anderem Dilan Yesilgöz-Zegerius, die wohl ihre Worte von vor sechs Monaten hätte wiederholen können. Stattdessen appellierte sie diesmal an die Fans: "Das hat nichts mit Fußball und Fansein zu tun. Sie spielen mit der Sicherheit der Spieler, ihrer Mit-Fans und sich selbst. Schämen Sie sich." Trotz der verschärften Regeln scheint es also so, dass "skandalöse Vorfälle" wohl weiterhin kein Einzelfall bleiben.

aka