Es passiert selten, dass Kassels Trainer Matthias Mink einzelne Spieler hervorhebt. Nach dem 2:1-Sieg gegen den 1. FC Saarbrücken vor zwölf Tagen machte der Coach aber eine Ausnahme: "Was Tobias Damm auf und neben dem Platz leistet, ist klasse. Ein solcher Spieler ist ein Vorbild für die gesamte Mannschaft", sprudelte es aus dem Fußballlehrer heraus. Wenige Minuten zuvor hatte Damm, der am heutigen Donnerstag seinen 31. Geburtstag feiert, mit seinem Tor in der Nachspielzeit den Spitzenreiter gestürzt. Doch das Sonderlob hatte nicht nur mit diesem Augenblick zu tun.
Der Tag beginnt für Damm, dessen Lieblingsposition die zentrale Sturmspitze ist, im Betriebsrat des Volkswagenwerks Baunatal. Nachmittags geht es zum Training, bevor dienstags, donnerstags und vereinzelt auch samstags mehrere Stunden Schule warten. Im Berufsbildungszentrum Kassel absolviert Damm seit Anfang September eine externe Fortbildung zum Personalfachkaufmann. Für seine Frau, den drei Jahre alten Sohn und die fünf Jahre alte Tochter bleibt im Moment nur wenig Zeit. "Das geht nur mit einer intakten Familie und guter Organisation", räumt Damm ein. Auch vor dem Spiel gegen Saarbrücken hatte der Angreifer ein volles Programm: Von acht bis zwölf büffelte er im Berufsbildungszentrum, bevor er direkt zum Stadion weiter fuhr. "Der Tag ist manchmal zu kurz", schmunzelt der gebürtige Homberger, der seine Karriere beim KSV beenden möchte.
Stammspieler unter Jürgen Klopp
Vor einigen Jahren träumte Damm noch von einer Karriere als Fußballprofi. In der Saison 2006/07 gehörte er unter Trainer Jürgen Klopp zunächst regelmäßig zum Stammpersonal beim Bundesligisten 1. FSV Mainz 05. Doch Mainz steckte schon bald im Tabellenkeller fest, für den jungen Damm war kein Platz mehr im Team.
In der Winterpause wurde der Nordhesse nach Wuppertal ausgeliehen, wo er beim WSV in 17 Spielen neun Tore in der damals drittklassigen Regionalliga erzielte. Im Sommer 2007 wechselte Damm endgültig nach Wuppertal, wo es nach einer guten Hinrunde Unruhe gab. Trainer Wolfgang Jerat wurde trotz Tabellenführung entlassen, Nachfolger wurde der inzwischen verstorbene Wolfgang Frank. "Frank war ein toller Trainer", sagt Damm, "doch die Mannschaft hat nicht verstanden, was er wollte."
Konkurse brachten den KSV aus dem Tritt
So wurde nichts aus dem erträumten Sprung in die 2. Bundesliga. 2010 ging Damm nach Kassel, wo er schon bald ein Déjà-vu erlebte. Die Löwen führten monatelang die Tabelle in der inzwischen viertklassigen Regionalliga an, bis die Konkurse von Ulm und Weiden den KSV völlig aus dem Tritt brachten. Die gegen diese Gegner gewonnenen Spiele wurden annulliert, Trainer Mirko Dickhaut wurde entlassen und am Ende hatte Darmstadt 98 die Nase vorn.
Ich hatte Angst, dass ich nie mehr Fußball spielen kann.
Damm über die Diagnose Pfeiffersches Drüsenfieber
In der Saison 2010/11 verpasste Kassel nach gutem Start den Aufstieg in die 3. Liga und in den Folgejahren lief es bei Damm gesundheitlich nicht mehr gut. Im Sommer 2011 verpasste er die Saisonvorbereitung aufgrund einer Sprunggelenkverletzung. Das Pech setzte sich fort, er fehlte auch in den folgenden Vorbereitungsphasen wegen einer tiefen Fleischwunde und einer Schulterverletzung. Gerade als er wieder Anschluss gefunden hatte, fing sich der Familienvater eine Grippe ein, trainierte aber weiter. Irgendwann kippte er mit Herzrasen zu Hause um. Diagnose: Pfeiffersches Drüsenfieber. Fast vier Monate war Damm krank geschrieben, an Training war nicht zu denken. "Ich hatte Angst, dass ich nie mehr Fußball spielen kann", räumt er heute ein.
Ende September 2013 folgte schließlich der erste Einsatz seit fast zehn Monaten. Heute ist Damm nach dem 32-jährigen Enrico Gaede der Älteste in einem runderneuerten Kader. "Der Weg, mit jungen Spielern zu arbeiten, ist der richtige", ist Damm überzeugt. "Die meisten bei uns haben Zweijahresverträge. Wenn man den Stamm hält und punktuell verstärkt, können wir in der kommenden Saison wieder eine gute Rolle spielen." Aber auch in der aktuellen Spielzeit hat Damm, dessen Vertrag im Sommer 2015 ausläuft, noch viel vor: "Wir haben nur fünf Punkte Rückstand auf den dritten Platz, da ist einiges möglich".
Oliver Zehe