EM

Der Europa-Welt-Europameister

Spanien schreibt Geschichte

Der Europa-Welt-Europameister

Es regnet Titel: Gerard Piqué und die spanische Nationalelf schrieb in Kiew Geschichte.

Es regnet Titel: Gerard Piqué und die spanische Nationalelf schrieb in Kiew Geschichte. Getty Images

Diesmal wollte sie gar nicht mehr weg. Hatten sie vor vier Jahren nach dem 1:0 gegen Deutschland in Wien und dem EM-Sieg noch flugs die Düse gemacht und waren noch in der Nacht zum Feiern in ihren Quartierort Neustift im Stubaital zurückgekehrt, blieb der Super-Champion nach dem 4:0 gegen Italien nun an historischer Stätte: in Kiew, dort wo die Spanier zuvor an den EM-Titel von 2008 und den WM-Sieg von 2010 den dritten Erfolg in Folge gereiht hatte - einmalig in der Fußballgeschichte.

"Wir haben Spanien einen Augenblick des Glücks beschert", ging Nationaltrainer Vicente del Bosque wie üblich selbst in der größten Euphorie nicht wirklich aus sich heraus. Die Fesseln streift er nur ganz, ganz selten ab, da muss es schon um mehr gehen als Titel und Trophäen. Nach dem WM-Sieg vor zwei Jahren trug er ja selbst unter sengender Sonne Krawatte, als die Mannschaft in brütender Hitze eine stundenlange Triumphfahrt durch Madrid unternahm - vor Millionen feiernder Fans.

Die warten auch heute wieder auf die "Campeones", als Höhepunkt ist ein Konzert mit verschiedenen Popstars angekündigt; zuvor wird der Europa-Welt-Europameister um 17 Uhr von König Juan Carlos empfangen. Um 18.30 Uhr soll der alte und neue Europameister am Siegesbrunnen Cibeles eintreffen. Oder später, oder früher. Sicher ist nur eines: Die Ankunft des Fliegers mit der besten Fußballmannschaft der Welt in Madrid ist auf 15 Uhr festgelegt.

Das ist der schönste Moment, den der spanische Fußball je hatte.

Iker Casillas

Doch auch da gilt: Wenn denn der Zeitplan überhaupt eingehalten wird. Denn: "Wir haben Geschichte geschrieben, und das muss man auch feiern", jubelte Xavi, dessen Gesicht sonst kaum einmal eine Gemütsregung preisgibt. "Das war das beste Spiel der EM", war der 32-Jährige stolz, der sich auch selbst mit einer phänomenalen Leistung und zwei Assists zum 2:0 und 3:0 aus dem Turnier verabschiedete.

"Das ist der schönste Moment, den der spanische Fußball je hatte", ergab sich auch Kapitän Iker Casillas in Superlativen. Also ließen sie es krachen im Hotel "Oper" in der ukrainischen Hauptstadt. Linksverteidiger Jordi Alba, eine der Entdeckungen der Saison und auch des Turniers: "Ich kann das alles immer noch nicht fassen." Der Torschütze zum 2:0 wirkte auch Stunden nach den tollen Toren und den traumhaften Tänzen durch die italienische Abwehr noch wie erschlagen von dem totalen Triumph.

Auch Torres gelingt Historisches

Da wollten die Helden anders als 2008 eben nicht noch groß nach Polen in den Quartierort Gniewino bei Danzig zurück, mit dem zumindest die Spieler ohnehin nicht so recht warm geworden waren - was nicht nur an den frischen Temperaturen unweit der Ostsee gelegen hatte. Keine Rückkehr also, die damals ins Stubaital auch eine Art Pilgerfahrt war: zurück in den Ort, wo aus der "Seleccion" die "Furia Roja" entstand.

Die erklomm am Sonntagabend im Olympiastadion von Kiew mit dem Husarenritt gegen Italien, dem ersten Pflichtspielsieg gegen die "Azzurri" im achten Duell, noch nie dagewesene Höhen. Fernando Torres, der zum 3:0 traf und 2008 bekanntlich Deutschland auf Platz zwei geschossen hatte, ist nun der einzige Spieler, der in zwei EM-Finals getroffen hat: "Das ist eine tolle Sache, aber im Vergleich zu der Leistung der Mannschaft nichts."

Gedenken an Roqué, Preciado, Jarque und Puerta

Sie sind eben bescheiden, auch das macht diese "Roja" trotz all ihrer Furien-Aspekte ja so sympathisch: "Wir sind eine richtig humane Gruppe", ist Kapitän Casillas auf das Innenleben seiner Truppe mindestens genauso stolz wie auf die Außenwirkung. Gedacht haben sie im größten Jubel auch des dieser Tage mit 23 Jahren an Krebs verstorbenen Profis Miki Roqué von Betis Sevilla; auch an den Tage zuvor an einem Herzinfarkt gestorbenen Liga-Trainer Manolo Preciado wurde erinnert, wie auch an die vor Jahren an Herzversagen verstorbenen Profis Dani Jarque (Espanyol) und Antonio Puerta (Sevilla).

Wenn ich mich gut fühle, dann mache ich auch bis 2014 weiter.

Xavi

Doch die drei Wochen in Polen und der Ukraine, sie machten trotz aller Tragik und immer wiederkehrender Schweigeminuten im Trainingscamp von Gniewino vor allem auch Hoffnung für die Zukunft: etwa angesichts der Auffrischung des Teams durch junge Spieler wie Jordi Alba. Der Flügelflitzer ist nur ein Grund, dass das Ende dieser Superelf noch nicht erreicht sein muss. Ein anderer: "Wenn ich mich gut fühle, dann mache ich auch bis 2014 weiter", sagt Mastermind Xavi.

Immer weiter, der alte Kahn-Spruch, wird auch von den Spaniern praktiziert. Und von keinem besser als von Nationaltrainer del Bosque: "Im Herbst beginnt schon wieder die Qualifikation. Jeder Erfolg, sei er auch noch so groß, ist vergänglich." Dennoch: Nach durchfeierter Nacht in Kiew wird diesen Nachmittag erst mal in Madrid weitergefeiert.

Jörg Wolfrum