Frauen

Wieso die Barcelona-Frauen alles in Grund und Boden spielen

"Das zentrale Mittelfeld ist etwas Einzigartiges"

Kein Ende in Sicht: Wieso Barcelona alles in Grund und Boden spielt

Sie sticht vorne oftmals heraus: Salma Paralluelo bejubelt hier einen Treffer gegen Atletico Madrid.

Sie sticht vorne oftmals heraus: Salma Paralluelo bejubelt hier einen Treffer gegen Atletico Madrid. IMAGO/NurPhoto

Wer sich nur selbst schlagen kann, ist manchmal geneigt, genau das zu tun. So wie der FC Barcelona am 10. Januar 2023. Im Achtelfinale des spanischen Pokals stand es 7:0 gegen Osasuna, da wurde Stürmerin Geyse eingewechselt. Dabei war die Brasilianerin im letzten Pokalspiel für ihren vorigen Klub Madrid CFF mit Gelb-Rot vom Platz geflogen und somit nicht spielberechtigt.

Das Ende der Geschichte: Barcas 9:0-Sieg wurde am grünen Tisch einkassiert, der Traum von der auf nationaler Ebene perfekten Saison war geplatzt.

UWCL, Viertelfinale, Hinspiele

Derart unprofessionell arbeiten die Katalanen sonst nie, im Gegenteil: Der FC Barcelona stellt im Frauenfußball schließlich das Nonplusultra dar. Die Liga dominiert der Klub jedes Jahr nach Belieben und in der Champions League stand er in den jüngsten drei Ausgaben immer im Finale - zwei Pokale sprangen dabei heraus.

Folgt nun der nächste? An diesem Mittwoch (21 Uhr, LIVE! bei kicker) laufen die Katalaninnen bei Brann Bergen im Viertelfinal-Hinspiel an der norwegischen Westküste auf. Deutlicher favorisiert könnten sie kaum sein, Sorgen ums Weiterkommen macht sich niemand.

Die technischen Fähigkeiten sind hier so hoch wie nirgendwo sonst.

Fridolina Rolfö zum kicker

Letztmals nicht im Endspiel der Königsklasse standen die Blaugrana 2019/20, als sie im Halbfinale am VfL Wolfsburg scheiterten. Siegtorschützin zum 1:0 damals: Fridolina Rolfö. Ein knappes Jahr später holte Barca sie zusammen mit Teamkollegin Ingrid Engen nach Katalonien. Solche Niederlagen lässt der Klub nicht einfach auf sich sitzen.

"Als ich herkam, war mein erster Gedanke: Die technischen Fähigkeiten sind hier so hoch wie nirgendwo sonst", sagt Rolfö dem kicker. "Aber ich denke, taktisch sind sie sogar noch besser. Wie die Spielerinnen das Spiel lesen, wie gut sie sich untereinander kennen." Barcelona habe das Team beständig aufgebaut, das mache es so erfolgreich. "Und natürlich: Das zentrale Mittelfeld ist etwas Besonderes, etwas Einzigartiges."

Mit Weltfußballerin Aitana Bonmati, die in den vergangenen Monaten sämtliche Titel abgeräumt hat. Mit Keira Walsh, der zwischenzeitlich teuersten Spielerin der Welt. Und dann wäre ja noch eine gewisse Alexia Putellas, die mal im Mittelfeld, mal im Sturm aufgestellt wird und - obwohl sie nach ihrem Kreuzbandriss ihr altes Niveau nicht erreicht hat - an guten Tagen jeden Gegner auseinandernehmen kann.

Eines der größten Probleme ist, dass es zu viele Teams sind.

Fridolina Rolfö

Im 4-3-3-System sortiert Trainer Jonatan Giraldez seine Mannschaft, ausnahmslos. Barca will sich nicht zu sehr nach dem Gegner richten. "Wir wissen, welche Qualitäten wir im Team haben, und erwarten deshalb wirklich viel von uns", sagt Rolfö. "Wir gehen mit dem Mindset raus, dass wir alle Spiele gewinnen müssen. Klar bringt das viel Druck mit. Aber man gewöhnt sich an das Gefühl."

Zum Thema

Und so konnte sich ein 1:1 gegen UD Levante, geschehen Mitte Februar, schon mal wie eine Niederlage anfühlen. 69 Heimspiele am Stück hatte Barca zuvor gewonnen, am 13. Februar 2019 war die Serie gestartet. Das Wort Corona verband man damals noch mit einer Krone - oder einer Biermarke. Messi, Suarez, Rakitic und Coutinho trugen das Männerteam. Schalke spielte im CL-Achtelfinale gegen Manchester City. Lange her.

69 Heimsiege hintereinander liegen aber zwangsläufig nicht nur an der eigenen Qualität, das weiß man auch in Barcelona. "Es gibt einige gute Teams in der Liga", sagt Rolfö, "aber eines der größten Probleme ist, dass es zu viele Teams sind". Von Langeweile spricht sie nicht explizit, aber das hört man im Gespräch raus. Die Liga könne ausgeglichener sein, wenn man die Liga verkleinere: "Wir sind 16 Teams. Das ist viel für eine Profi-Liga. Die meisten in Europa haben zwölf, für mich ist das eine bessere Lösung."

20 Ligaspiele, 19 Siege

Währenddessen diskutiert man in Deutschland über eine Aufstockung in die andere Richtung. "Generell ist die Bundesliga enger als in Spanien", meint Rolfö, die es nach je zwei Jahren beim FC Bayern und in Wolfsburg wissen muss. "In Deutschland ist es auf jeden Fall körperbetonter, taktischer, mit vielen Eins-gegen-eins-Duellen. Hier in Spanien kommt es eher auf die technischen Fähigkeiten an."

Die Schwedin selbst kehrte nach einer Meniskusverletzung erst Anfang März zurück, beim 7:0 gegen Teneriffa am Wochenende, dem 19. Sieg im 20. Spiel, stand die gelernte Außenstürmerin erstmals wieder in der Startelf - wie inzwischen gewohnt als Linksverteidigerin.

Als sie 2021 bei Barca unterschrieb, wusste sie noch nichts von ihrer nahenden Umschulung. "Das war nicht der Plan von Anfang an", sagt sie lächelnd. "Ich hatte die Position vorher noch nie gespielt. Aber der Coach wollte die Position ausprobieren. Ich habe gesagt: Wir können es versuchen und schauen, wie es klappt."

Stürmerinnen als Verteidigerinnen

Möchte man das Spiel des Top-Favoriten genauer beschreiben, kommt man nicht an der Rolle der Außenverteidigerinnen vorbei. Dass gegen Teneriffa mit Rolfö und Marta Torrejon beide Außenverteidigerinnen trafen, war keineswegs Zufall. Weil nämlich alle drei Mittelfeldspielerinnen im 4-3-3 die Zentrale besetzen sollen, um dort Überzahl zu schaffen, bleibt für Rolfö (links) und die etwas defensiver denkenden Lucy Bronze oder Torrejon (rechts) viel Platz zum Marschieren.

"Es ist einzigartig in diesem Team", erklärt Rolfö. "Wir spielen mit vielen Leuten in der Offensive. Dadurch fühlte sich meine Position anfangs sehr hoch an, eher wie eine Flügelstürmerin als eine Außenverteidigerin." Kein Wunder: Bei der Spielanlage ergäbe es wenig Sinn, wenn Barca dort resolute Abräumerinnen hinstellen würde.

"Die Herausforderung bestand aber darin, gegen stärkere Gegner die Linie zu halten", schildert die 30-Jährige. "Ich musste auf Abseits und solche Dinge achten, die neu für mich waren." Zuletzt probierte das Trainerteam auch die junge Niederländerin Esmee Brugts hinten links aus. Geholt hatte man sie im vergangenen Sommer aus Eindhoven - als Stürmerin. Ein Experiment mit System.

Was für ein Startelf-Comeback: Beim 7:0 gegen Teneriffa trifft Fridolina Rolfö (re.) nach acht Minuten zur Führung.

Was für ein Startelf-Comeback: Beim 7:0 gegen Teneriffa trifft Fridolina Rolfö (re.) nach acht Minuten zur Führung. NurPhoto via Getty Images

Apropos Angriff: Hier bringt der Kader noch einmal enorme Qualität mit, über jede Spielerin lässt sich eine eigene Geschichte erzählen. Hier Salma Paralluelo, die Stürmerin, die vielleicht im Olympia-Sprintfinale mithalten könnte und nebenbei noch richtig gut Fußball spielt. Dort Caroline Graham Hansen, die dribbelnde Schleicherin mit beeindruckend guter Technik. Dazu noch die arbeitende Mariona Caldentey - oder eben Putellas.

Derart gut besetzt ist die Offensive, dass Barca im Winter die sechsmalige afrikanische Fußballerin des Jahres, Asisat Oshoala, im Vorjahr mit 21 Ligatoren mit Abstand beste Schützin, nach Kalifornien ziehen ließ.

Zumal aus der zweiten Mannschaft und der Jugend die Talente nachdrängen. Vicky Lopez (17) und Giulia Dragoni (beide 17), Martina Fernandez (19) und Lucia Corrales (18) erhalten regelmäßige Spielzeit bei den Profis. Die Italienerin Dragoni fuhr im vergangenen Sommer gar mit zur WM, ohne je für die Barca-Profis gespielt zu haben. Auch das sagt etwas über die Qualität in der Talentschmiede La Masia aus. "Wir sehen, dass die Zukunft für Barca rosig ist", sagt Rolfö.

Die Unschlagbaren schlagen? 2023 wähnte sich Wolfsburg kurz davor

Sucht man nach Schwachpunkten in der katalanischen Star-Auswahl, findet man - wenig. In der ausgedünnten Innenverteidigung vielleicht, aber dafür muss man als Gegner erst einmal dorthin vordringen. Und im Tor: Da wechseln sich die junge Cata Coll und die zunehmend fehleranfällige, ehemalige Top-Keeperin Sandra Panos ab.

Möchte man den FC Barcelona dennoch besiegen, geht das in der Champions League eigentlich erst im Finale: Dann sind es nur 90 Minuten und nicht 180. Eben wie der VfL Wolfsburg 2019/20 im Halbfinale, das coronabedingt in einer Partie ausgespielt wurde. Auch im Vorjahr wähnten sich die Wölfinnen kurz davor, die Unschlagbaren zu schlagen. Mit 2:0 für Wolfsburg ging es im Champions-League-Endspiel 2023 in die Halbzeit.

Champions-League-Finale 2023

Doch auf den Tribünen in Eindhoven wurde man in der Pause als Beobachter das Gefühl nicht los, dass die Blaugrana jederzeit aufdrehen könnte. So kam es dann auch: 1:2 in der 48. Minute, Ausgleich in der 50., Siegtor in der 70. - letzteres übrigens durch Rolfö. Ausgerechnet.

Erfolgstrainer Giraldez geht im Sommer

Laut der jüngst veröffentlichten "Women's Football Money League" des Wirtschaftsprüfers Deloitte erwirtschaftete das Frauenteam des FC Barcelona 2022/23 einen Umsatz von 13,4 Millionen Euro. Damit sind die Katalaninnen dem Rest Europas weit enteilt. Manchester United folgt mit acht Millionen Euro auf Rang zwei, vor Real Madrid (7,4).

Mit Eintracht Frankfurt (3,6; Platz 8) und Bayern München (3,1; Platz 9) schafften es zwei deutsche Teams in die Top 10. Der Abstand jedoch erscheint gewaltig. Und doch haben die Blaugrana jenseits von Europa einen Gegner zu fürchten, der immer größer wird: die US-amerikanische NWSL. Nicht erst, seit Erfolgscoach Giraldez entschied, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, um bei Washington Spirit ein hochdotiertes Angebot wahrzunehmen.

Das meiste liegt an der Schlauheit der Spielerinnen.

Fridolina Rolfö

Die Spielweise, so viel schimmert durch, wird aber bleiben, auch ohne Giraldez. Sie zu kopieren, empfiehlt Rolfö weniger: "Ich glaube nicht, dass man erfolgreich wäre, wenn man das versuchen würde. Jedes Team in jedem Klub muss seinen eigenen Weg finden. Die Spielidentität hier ist besonders."

Aber wie viel davon ist eigentlich eingeübt, wie viel passiert spontan auf dem Platz? "Es ist eine Mischung", meint die stürmende Verteidigerin. "Aber das meiste ist Improvisation, weil wir Spielerinnen so viel Qualität haben. Sie können das Spiel lesen, sie verstehen, was zu tun ist, wo sich Räume öffnen. Ich glaube, das meiste liegt an der Schlauheit der Spielerinnen." Keine guten Aussichten für die Konkurrenz.

Paul Bartmuß

Popp auf Platz 2: Die Rekordspielerinnen der Champions League