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Wie Stade Brest zum Ligue-1-Tabellenführer wurde

Die nächsten Wochen werden zur Standortbestimmung

Ein Nobody auf Höhenflug: Wie Stade Brest zum Ligue-1-Tabellenführer wurde

Stade Brest um den überragenden Romain Del Castillo (vorne) mischt die Ligue 1 auf.

Stade Brest um den überragenden Romain Del Castillo (vorne) mischt die Ligue 1 auf. IMAGO/PanoramiC

Die Sensationssaison von RC Lens, das die vergangene Spielzeit auf Platz zwei und nur einen Punkt hinter Meister Paris Saint-Germain beendete, ist keine vier Monate her, da hat die Ligue 1 schon ihr nächstes Überraschungsteam. Denn nach sechs Spielen stehen weder PSG, noch die AS Monaco oder OGC Nizza an der Tabellenspitze, sondern Stade Brest

Mit 13 Zählern haben sie aktuell zwei mehr als die Pariser auf dem Konto. Auf der Pressekonferenz nach dem jüngsten 1:0-Sieg über Olympique Lyon lieferte Trainer Eric Roy jedoch eine andere Interpretation der Ausgangslage: "Ich sehe vor allem, dass wir mit 13 Punkten vielleicht ein Drittel unseres Weges hin zu unserem großen Ziel zurückgelegt haben. Nach sechs Spieltagen ist das fantastisch."

VIER SIEGE ZUM SAISONSTART

Roy spielte auf den angepeilten Klassenerhalt an, der bei Stade Brest auch in dieser Saison wieder an erster Stelle steht. "Im Moment sieht es gut aus, aber ich möchte nicht, dass sich das Ganze in einem oder zwei Monaten wieder dreht und wir immer noch bei 13, 14, 15 Punkten stehen." Der  56-Jährige fordert, dass seine Mannschaft demütig bleibt und den Fokus behält. Denn Erstligafußball und eine größere Aufmerksamkeit in den Medien sind für Stade Brest nicht selbstverständlich.

In Deutschland und international weitgehend unbekannt

Malerisch in der Bretagne gelegen ist die Stadt unter Frankreich-Urlaubern längst kein Geheimtipp mehr. Deutsche Fußballfans dagegen hatten mit dem lokalen Verein Stade Brest bisher eher wenige Berührungspunkte. Seit dem Aufstieg in die Ligue 1 im Sommer 2019 beendeten die Piraten jede Spielzeit auf den Rängen elf bis 17. Internationalen Fußball gab es in der 140.000-Einwohner-Stadt noch nie zu sehen.

Im Sommer tauchte Stade Brest mal kurz auf dem Rader deutscher Fußballfans auf. Da wechselte Leistungsträger Franck Honorat zu Borussia Mönchengladbach, um das Erbe von Jonas Hofmann anzutreten. Zudem dürften die Franzosen einigen Menschen im Großraum Mannheim ein Begriff geworden sein. Denn in Adrien Lebeau gab Waldhof Anfang August einen Stürmer ablösefrei an Stade Brest ab.

Eine tragende Rolle spielt Lebeau, der für die Mannheimer in 46 Pflichtspielen fünfmal traf und sechs Vorlagen gab, aber noch nicht. Bisher reichte es nur zu zwei Kurzeinsätzen, bei denen der Franzose noch nicht nachhaltig auf sich aufmerksam machen konnte.

Del Castillo arbeitet mit 27 Jahren am Durchbruch

Stattdessen setzt Roy im Angriff unter anderem auf Romain del Castillo. Der Rechtsaußen ist mit drei Toren in sechs Spielen bester Schütze der Piraten. Dazu kommen zwei Vorlagen, womit er sich in der ligaweiten Scorerliste auf Platz fünf einordnet. Auf der rechten Seite ist er der interne Ersatz für Honorat.

Für del Castillo könnte es die ersehnte Durchbruchs-Saison werden. Seine beste Spielzeit im Oberhaus legte er in der Vorsaison hin, als ihm für Brest in 27 Spielen sechs Tore und sieben Vorlagen gelangen. So richtig überzeugen konnte er aber noch auf keiner seiner Stationen. Der 27-Jährige stammt aus der Jugend von Olympique Lyon, von wo aus er nach seinem Sprung in die erste Mannschaft 2016 vor allem verliehen wurde.

Im Sommer 2018 wechselte er fest zu Stade Rennes, wo er allerdings auch nie unumstrittener Stammspieler war. So zog er 2021 weiter zu Stade Brest, wo er sich in dieser Saison aus der Rolle des Rotationsspielers löste. Roy berief Del Castillo in jedem Spiel in die Startelf - und der zahlt das Vertrauen mit starken Leistungen zurück.

Drei Neuzugänge haben sich schon festgespielt

Neben etablierten Gesichtern wie Rechtsaußen Del Castillo, dem Innenverteidiger-Duo Brendan Chardonnet und Lilian Brassier oder Torhüter Marco Bizot, der schon im Kreis der niederländischen Nationalmannschaft weilte, haben sich auch schon eine ganze Reihe Neuzugänge in die Startelf gedrängt. Königstransfer Mahdi Camara etwa, der nach seiner Leihe in der Vorsaison im Sommer für rund drei Millionen Euro fest von der AS St. Etienne aus der Ligue 2 gekommen ist. Seit dem zweiten Spieltag ist der Franzose im zentralen Mittelfeld gesetzt, lieferte bisher eine Vorlage und ein Tor. 

Überhaupt ist nur für zwei permanente Neuzugänge Geld geflossen. Neben Camara hat Stade Brest für Bradley Locko ins Portemonnaie gegriffen. Auch Locko hatte in der Vorsaison bereits auf Leihbasis bei den Piraten gespielt. Nun sind rund 500.000 Euro an Ligakonkurrent Stade Reims geflossen. Eine Investition, die sich zum Saisonstart ebenfalls bezahlt macht. Locko stand in allen Spielen über die volle Distanz auf dem Platz und ist als Linksverteidiger gesetzt.

Mit Martin Satriano lieh zudem Brest einen 22-jährigen Mittelstürmer von Inter Mailand aus, der sich dort noch nicht durchsetzen konnte, Verein und Liga aber schon kennt. Denn in der Saison 2021/22 war er schonmal an die Franzosen verliehen und erzielte in 15 Spielen vier Tore. In dieser Saison ist er im Sturmzentrum gesetzt, wartet aber noch auf seinen ersten Treffer.

Brest ersetzt drei Leistungsträger mit bekannten Gesichtern

Den Neuzugängen gegenüber stehen eine Reihe von Leistungsträgern, die Stade Brest verlassen haben. Neu-Gladbacher Honorat war in der vergangenen Saison ebenso gesetzt wie Linksverteidiger Jean-Kevin Duverne (ablösefrei zum FC Nantes) und Mittelfeldspieler Haris Belkebla (ablösefrei zu Ohod Club).

Während Del Castillo Honorat bereits bestens vertritt, stopfen Hugo Magnetti und Neuzugang Jonas Martin, der bisher stets von der Bank kam, das Loch, das Belkebla im zentralen Mittelfeld hinterlassen hat. Mit Locko hat auch Duvernes Nachfolger durch seine Leihe aus der Vorsaison bereits Stallgeruch.

Roy und Stade Brest: Seit Jahresbeginn eine Erfolgsgeschichte

Da ist es auch kaum verwunderlich, dass Roy keine Anstalten macht, von seinem bewährten offensiven 4-3-3-System abzurücken. Je nach Gegner wechselt er auch gerne mal auf das etwas defensiver ausgerichtete 4-2-3-1, macht aufgrund der Kaderzusammenstellung aber keinen Hehl daraus, dass er an diesen Grundordnungen gerne festhalten möchte.

Und der Erfolg gibt dem ehemaligen Fernsehkommentatoren und Experten bis dato recht. Mehr als elf Jahre hatte Roy nicht als Trainer gearbeitet, ehe ihm Stade Brest im Januar 2023 das Vertrauen schenkte. Nach dem Rauswurf von Michel Der Zakarian im Oktober übernahm er das Ruder von Interimstrainer Bruno Grougi und führte Brest schlussendlich von einem Abstiegsplatz noch zum souveränen Klassenerhalt und Platz 14. Ob die 13 Punkte aus den ersten sechs Spielen nun nur eine Momentaufnahme oder die Vorboten einer Überraschungssaison sind, wird sich Anfang November besser bewerten lassen.

Kommende Gegner werden für Brest zur Standortbestimmung

HAMMERWOCHEN FÜR STADE BREST

Denn bis dahin bekommt es Stade Brest mit den größten Kalibern der Liga zu tun. Am Sonntag (1. Oktober, 15 Uhr) geht es zum Tabellenzweiten OGC Nizza. Dem Klub, für den Roy 2011 zuletzt als Trainer gearbeitet hatte. "Es wird ein großes Spiel werden, auch für mich", sagte er.

Druck verspüre der Trainer dagegen nicht. "Für uns ist es ein Privileg, diese Art von Spielen bestreiten zu dürfen. Wir wollen uns das zum Vorteil machen und uns voll reinbeißen", kündigte er an.

Nach dem Kracher gegen Nizza warten unter anderem Meister PSG und die viertplatzierte AS Monaco. Dazu kommen mit dem FC Toulouse noch der amtierende Pokalsieger und Conference-League-Teilnehmer Lille OSC. Ein echtes Hammer-Programm, nach dem vorerst geklärt sein dürfte: Kurzer Höhenflug oder Spitzenmannschaft?

kon

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